…im Kulturhistorischen Muesum in Roßdorf bei Darmstadt.
Frühzeitig hatten sie sein künstlerisches Erbe geregelt und in eine Stiftung eingebracht. Jahrelang war meine Mutter Vorsitzende des Stiftungsbeirats gewesen. Kurz vor ihrem Umzug zu uns hatte ich während meiner Besuche bei ihr alle drei Wochen den umfangreichen Bestand ihrer Besitztümer, oft besonders schöne Probedrucke, sortiert und in Ordnung gebracht. Einigermaßen erschüttert war ich, wie wenig meine Mutter schon damals, vor drei Jahren, dazu beitragen konnte. Irgendwann saß sie selbst etwas ratlos und mit hängenden Schultern zwischen all den auf dem Boden ausgebreiteten Bildern, unfähig, sie Schaffensperioden zuzuordnen: „Das hat mir alles mal sehr viel bedeutet!” sagte sie. Nicht verzweifelt. Aber natürlich schon traurig. Für mich am traurigsten, dass sie das selbst so genau konstatierte. Ich sagte ihr dann: „Mutti, Du hast das nun wahrlich lange genug gemacht. All seine Launen ausgehalten, über all die Jahre ihn unterstützt und begleitet. Du darfst das jetzt loslassen!” Mit großen, fragenden, dankbaren Augen schaut sie mich an: „Meinst Du?” „Ja Mutti!” Sie lächelte. Es war wie eine Absolution. Ich spürte förmlich, was für eine Last von ihr fiel. Mit einer Spedition schickte ich all ihre Bestände zu der Stiftung.
*
Und nun sind wir zum ersten Mal nach dieser Übergabe wieder hier. Stehen auch noch einmal in Estebans, in diese Räumlichkeiten umgezogenen, Druckwerkstatt. Riechen den herrlichen Geruch der Ölfarben. Es ist alles so, als wäre Esteban nur mal eben aus dem Raum gegangen und würde gleich weiterdrucken. Schnell bietet mir Ulrike, Muttis beste Freundin aus dem Stiftungsbeirat, mit der ich schon oft, nicht nur zur Vorbereitung dieses Besuchs, im E-Mail-Kontakt gestanden hatte, das ‚Du’ an. Führt uns liebevoll durch die aktuelle Ausstellung von Esteban. 
Eine Gegenüberstellung und Duett seiner Holzschnitte mit Holzskulpturen einer anderen Künstlerin. Hingebungs- und durchaus intellektuell anspruchsvoll erklärt sie die Kuratierung. Meine Mutter schaut sehr interessiert, nickt, wirft hier und da ein „hmm!” ein. Und gibt ab und an, ich halte fast den Atem an, wie gewohnt ein klein wenig dozierend, Kommentare, die ich, fast wörtlich, aus ihren kunsthistorischen Vorträgen aus meiner Kindheit wiederkenne. Die sicher ‚richtig‘ sind, nur oft nicht so ganz zum gerade vorher Gesagten passen wollen. Es ist zauberhaft, wie Ulrike das respektvoll ernst nimmt, keine Miene verzieht, darauf wieder antwortet, es einbaut. „Mitgehen, immer mitgehen!” hatte ich ja auch schon ganz am Anfang meiner Lernkurve im Umgang mit Demenz von meinem Freund gelernt, wenn er erzählte, dass bei seiner Mutter nur ein „Wo hast du das Auto denn geparkt?” half, wenn sie, seit langem schon im Heim wohnend, überzeugt war, jetzt mit ihrem Auto zu ihm fahren zu wollen.
Gerne würde Ulrike anschließend mit uns Kaffee trinken. Die einigermaßen fußläufig gelegenen Cafés sind aber noch Corona-bedingt geschlossen. Da mache ich das Naheliegendste: Ich lade beide in den Bulli ein. Fünf Minuten später duftet der Kaffee und wir schnabulieren die herrlichen Ingwer-Kekse von Petra, die wir mitgenommen hatten. Ulrike fragt meine Mutter: „Worauf freust Du Dich denn besonders auf dieser Reise?” „Auf die Zweisamkeit.” Hmmm… Geschichten und Geschichtchen werden erzählt. Meine Mutter versteht sichtlich nicht alles, überspielt das aber wie immer mit unglaublicher Grandezza und so mancher Plattitüde oder Bemerkungen, die haarscharf nicht zum vorher Gesagten passen mögen. Oft aber auch doch ihre eigene, bezaubernde Logik haben. Ich bin nicht sicher, ob Ulrike das realisiert, traue mich aber nicht, einzugreifen. Es ist so ein schöner Gesprächsfluss, eine Begegnung von zwei Freundinnen, die sich schon lange kennen und denen es jetzt gerade im Moment gut miteinander geht. „Ich hatte immer gehofft, ich komme mal nach Augsburg, meine Tochter hatte gesagt ‚Ich fahr dich da
hin!‘, aber jetzt wegen Corona ist das nichts geworden.” So machen stattdessen wir es jetzt möglich.




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