Wv 71 "Pilar"

Pilar Wv 71

Auf einer Reise mit Anspruch

Zum Farbholzschnitt „Pilar“ (Werkverz. 71)

Nicht nur 1962, das Entstehungsjahr des Blatts, ist längst Vergangenheit. Was darauf dargestellt ist, dürfte kein heutiger Besucher des Städtchens Pilar, im Hinterland von Buenos Aires, mehr so erleben. Das topographisch flache, sattgrüne, weil wasserreiche Terrain hat sich seither zu einer exklusiven Wohngegend entwickelt, dennoch offen für den Tourismus, mit Luxushotels, Einkaufszentren, Restaurant- und Barszene plus Golf- und Poloplätzen. Verschlafen bietet sich dagegen das Pilar dar, wie Esteban Fekete es vor sechs Jahrzehnten, auf Ausflügen heraus aus der Hauptstadt, vorfand – oder vielmehr in Deutschland aus der Erinnerung heraufbeschwor: eine lockere Gruppierung wuchtiger, dabei windschiefer Gebäude, die aus dunklen Fenster- und Türöffnungen in eine abendliche Landschaft blicken; vom rosigen Streifen Himmel heben sich Bäume ab, die ihre Äste spreizen wie Finger, an denen das Laub sich zu wenigen überdimensionalen Blättern ballt. Auf das hiesige Publikum muss der von fünf Farbplatten gezogene Holzschnitt gewirkt haben wie eine Botschaft aus einer exotischen, ja märchenhaft archaischen Welt. Ein Gegenentwurf zum eigenen Wirtschaftswunderreich, in dem in rasendem Tempo neu geplant und gebaut, produziert, konsumiert, Geschichte und Natur quasi planiert wurden, den fortschrittsgläubigen Blick auf die noch leuchtendere Zukunft fixiert. Machte das allein schon glücklich? Eher nein, denkt man an das Übermaß von Sehnsucht, welche die Alltagskultur der fünfziger und sechziger Jahre durchpulste: der deutsche Film, der deutsche Schlager schwelgten in Träumen der Ferne. Esteban Fekete, der Rückkehrer von südlich des Äquators, hatte das Glück, zur richtigen Zeit den richtigen Nerv zu treffen. Anders als Freddy Quinn oder Caterina Valente freilich, kraft seiner in puncto Form und Farbe oft kontra-naturalistisch verwandelten Welt, frei von Kitsch-Verdacht. Unterwegs auf einer Reise mit künstlerischem Anspruch wusste sich, wer sich eines der etwa „Indianerin“, „Leben am Fluss“, „Gaucho“, „Wasserträgerin“, „Glücklicher Fischfang“, „La serva padrona“ betitelten Werke an die heimische Wand hängte – oder eben „Pilar“.

Roland Held

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